Die Überführung

Ein Geschichte von Helmut Heißinger, Nürnberg

Am Anfang war ein 17er Schlüter, Baujahr 1951. Mit ihm und auf ihm verbrachte ich meine fortgeschrittene Kindheit und meine frühe Jugend. Die dabei gewonnenen Fähigkeiten und Fertigkeiten reduzierten die späteren Führerscheinkosten erheblich. Gleichzeitig erwuchs in mir eine dauerhafte Liebe und Begeisterung für die Traktoren der 50er Jahre, vornehmlich für Einzylinder-Typen. Die Jahre / Jahrzehnte gingen ins Land und der Wunsch nach einem alten Bulldog wuchs mit zunehmenden Lebensjahren.

November 2000 war es dann soweit. Mein Schwiegersohn brachte einen vergammelten FAHR D 90, Bj. 1955 ins Haus. Es setzte ein begeistertes Restaurieren ein; er scheute keine Mühe und ich keine Kosten. Im Laufe von Monaten entstand ein Schlepper, von dem man meinen könnte, er habe soeben die FAHR-Schlepperwerke in Gottmadigen verlassen.

Während dieser Zeit war ich in Füssen zur Kur. Bei meinen Wanderungen hielt ich nach alten Traktoren Ausschau. Ja, es gibt sie noch, diese alten Kameraden, mit Kennzeichen, die kaum mehr bekannt sind und sie sind im Einsatz und haben keine Gelegenheit an Schleppertreffen teilzunehmen.

So traf ich einige FAHR an: D 17 oder D 130, aber keinen D 90. Einmal fragte ich einen D 180 Eigner, ob es denn in der Gegend keinen D 90 gäbe. Doch, sagte mir der Bauer in Speiden und wies mir den Weg zum Anwesen Handle in Hopferau. Bauer Handle war gerne bereit, mir seinen D 90 vorzuführen. Alleine der Startvorgang begeisterte mich: Aufsitzen, Zündung einschalten, starten und der Motor sprang sogleich an. Kein Einspritzen, kein Füllknopfdrücken, obwohl der Bulldog tagelang in seinem Schuppen unter der Tennenauffahrt gestanden hatte.

Eine weitere Besonderheit: Der Bulldog war grün, so wie unser Restaurierungsobjekt.
FAHR lackierte serienmäßig rot. Grün musste extra geordert werden und ist sehr selten.

Ich drehte eine kleine Runde und bewunderte den alten, abgenutzten aber kerngesunden Bulldog. Schnell stand mein Entschluss fest: Da der restaurierte, dort der vom Arbeitsleben gezeichnete Zustand. Die Lackierung an Stellen, die z.B. beim Aufsteigen ständig berührt wurden, bis auf die Grundierung abgegriffen. Aber alles im Originalzustand: Das Zündschloss, die Sitzschale, die bei unserem Schlepper durchgerostet war. Diesen Bulldog wollte ich haben. Ihn wollte ich auf eigener Achse nach Schwabach fahren. Ich bat Herrn Handle einen Zettel mit meiner Adresse und Telefonnummer zum Kfz-Brief zu legen und mich beim künftigen Verkauf zu berücksichtigen.

Gut Ding will Weile haben. So schnell schießen die Allgäuer Bauern nicht. Es dauerte vier Jahre bis mich Bauer Handle fragte, ob ich noch Interesse am FAHR D 90 habe.

Am 16. Juli 2004 fuhr ich an den Hopfensee und schaute mir den Schlepper wieder an. Der eine Hinterreifen erwies sich als platt vom Stehen – er war seit einem Jahr nicht mehr im Einsatz, und er schien noch mehr Patina angesetzt zu haben. Der Motor trat wiederum willig seinen Dienst und während er so vor sich hintuckerte und ich den Bulldog nochmals eingehend betrachtete, meinte ich zu Bauer Handle, die Betriebstemperaturanzeige wird bestimmt nicht mehr funktionieren. Er wisse es nicht, er habe seit Jahren nicht mehr darauf geschaut. Doch welch ein Wunder: Der Zeiger hatte sich inzwischen in den Normalbereich bewegt. Sie funktionierte, was bei unserem Restaurierungsobjekt nicht zu schaffen war. Andere Schlepperfreunde hatten dasselbe Problem.

Und der alte Papp-Kfz-Brief war auch noch da. EZ 12/1954 mit schwarzem B-Schild für „Britische Besatzungszone“. 1957 Umschreibung auf weißes FÜS-Schild. Ununter-brochen zugelassen. Lediglich ein Besitzerwechsel, als der Altbauer starb. Alles Originale, auch der Hinterreifen. Rissig und abgefahren. Aber der TÜV gab seinen Segen bis 04/2005. So stand dem Kauf nichts mehr im Wege.

Über Kaufpreise wird üblicherweise geschwiegen. Soviel sei gesagt: Wir waren beide zufrieden. Und Anfang August 2004 war die Abholung vereinbart.

Mit einem frühen Zug fuhr ich am Montag, den 2. August 2004 nach Füssen. Schnell waren die Formalitäten abgewickelt und schon gegen 10 Uhr vormittags reihte ich mich in den dichten Urlaubsverkehr ein, der sich mangels fertiggestellter A 7 durch die idyllische Voralpenlandschaft quälte.

Das forsch eingestellte Handgas nahm ich nach weniger Straßenkilometern zurück, denn die unrund abgefahrenen Reifen an den Hinterrädern machten aus dem Traktor einen Hoppe-Gaul. Spätere Vergleiche mit den weißen Entfernungstafeln an bayerischen Straßenrändern und der Uhrzeit ergaben 12 km pro Stunde. Ein vernünftiger Kompromiss zwischen Horizontalbewegungen des Traktors und zurückzulegender Wegstrecke. Entfernungsangaben an den Wegweisern, z.B. 4 km, rechnete ich sofort in 20 Minuten Fahrzeit um. Die Langsamkeit des Seins begleitete mich die nächsten Tage.

Zunächst war mein Ziel die Tankstelle in Seeg. Allzu viel Diesel war nicht mehr im Tank, aber bis Seeg würde es allemal reichen. In Seeg an der Tankstelle angekommen, suchte ich nach der Dieselzapfsäule. Ein großes Schild verhieß nichts Gutes „Dieselkraftstoff ausverkauft“. Mit mulmigem Gefühl setzte ich meine Fahrt fort. Wusste ich doch die nächste Tankstelle in Marktoberdorf. Es klappte: 15 km bzw. 75 Minuten Fahrzeit lagen hinter mir, als ich gegen 12 00 Uhr meinen Bulldog betankt hatte. 15 Liter Diesel liefen in den Tank, der 19 Liter Inhalt hat.

Munter ging es zunächst über die B16, dann über kleine Ortsverbindungsstraßen meinem ersten Tagesziel, Buchloe, entgegen. Hinter mir die alte hölzerne Ladepritsche, mit der ehedem die Milchkannen zur Sennerei transportiert wurden. Heute lagen auf ihr die Handkurbel zum Motoranwerfen und meine Reisetasche.

Inzwischen waren mir auch die Motor- und sonstigen Fahrgeräusche meines neuen Kameraden vertraut und ich genoss die Landschaft, die Dörfer, mitunter mit Menschen. Entgegenkommende Traktoristen schauten entweder mitleidig von oben herab oder winkten freundlich. Je nach dem auf welchem Traktor sie saßen. Manche Dorfbewohner kamen beim Klang des Einzylinders neugierig an die Hoftore, staunten und winkten freundlich.

Das langsame Fahren ermöglichte Einblicke in die Höfe, in offene Scheunentore und Maschinenhallen und in wunderschöne Bauergärten. „Geh´ aus mein Herz …“ möchte man anstimmen.

Aber auch Marterl am Straßenrand, für die zumeist jungen Unfallopfer, wurden bei 12 km / h lesbar und die Bilder unbekümmerter Menschen machten nachdenklich. Ich nahm vieles wahr, was im Pkw nur Momentaufnahmen in Sekundenbruchteilen sind. Diese Wahrnehmung war ungewohnt und bereicherte.

Zeitig am Nachmittag war Buchloe erreicht. Die 50 km bis dahin waren mühelos zurückgelegt. Da ich mit meinem Hundefreund verabredet war, musste ich es bei dieser Tagesetappe belassen. So bog ich auf den Parkplatz des Hotels „Eichel“ ein und stellte meinen Traktor ab.

Da machte ich eine üble Feststellung: Die Kraftstoffleitung war undicht geworden und reichlich Diesel tropfte auf den Asphalt. In der Nacht machte ich mir Gedanken, wie damit umzugehen ist. Mein Hundefreund gab mir den Tipp zum ehemaligen Dorfschmied in einen Vorort zu fahren. Der erkannte den Schaden, konnte aber mangels Material und Werkzeug nicht helfen. Er empfahl eine baldige Reparatur in Buchloe. Doch in dieser Werkstatt hörte man mein Anliegen nur halbherzig an und meinte, das ginge schon noch. Ich vertraute diesen Worten und machte mich weiter auf den Weg Richtung Norden.

In Türkheim war dann meine Reise vorerst zu Ende. Die Kraftstoffleitung war an der Einspritzpumpe vollends gerissen, der Leitungsdruck weg und mein Bulldog rollte langsam aus. Genau gegenüber dem neuen Feuerwehrhof kam ich zum Stehen.

Zwei junge Feuerwehrmänner gaben dem Neubau den letzten Schliff für die bevorstehende Einweihung. Sie bat ich, mir den Schlepper auf den Parkplatz schieben zu helfen. Sie sahen sogleich, dass Hilfe vonnöten war und während einer mir den (Fuß-)weg zur landwirtschaftlichen Reparaturwerkstatt erklärte, sagte der andere, komm zu meinem Feuerwehrauto, ich fahre dich hin. Gesagt – getan. Dort trafen wir auf einen Meister vom alten Schrot und Korn, der sogleich treffsicher eine Ferndiagnose stellte, mit Geselle und Werkstattwagen zum Feuerwehrhof kam, die gebrochene Kraftstoffleitung ausbauen und zur Werkstatt bringen ließ, dort umgehend eine neue Leitung anfertigte, zum etwa 2 km entfernt stehenden Traktor brachte und einbauen ließ. Dann nochmals in die Werkstatt, Rechnung bezahlen (37,- €) und vom Monteur erneut zum Traktor zurückgebracht. Ein Service, den man heutzutage im Regelfall vergeblich sucht.

Bei dem Feuerwehrmann wollte ich mich mit einem angemessenen Betrag für die Kameradschaftskasse bedanken. Das kam gar nicht in Frage. Er sei zum Helfen da und alles wäre selbstverständlich gewesen. Also postierte ich meinen Schlepper neben dem Feuerwehrauto, bat den freundlichen Floriansjünger dazu und schoss zwei Fotos, für ihn und für mich. Nach einer knappen Stunde war der Schaden behoben. Der Bulldog tuckerte wie all die 50 Jahre vorher und die Fahrt ging weiter. Ich hatte Glück im Unglück. Gerade vor den hilfsbereiten Floriansjüngern ging der Motor aus und nicht drei Kilometer nach dem letzten Ort und vier Kilometer vor dem Nächsten. Ich schickte ein kleines Dankgebet nach oben.

Durch den Naturpark „Augsburg westliche Wälder“ nahm ich weiter Kurs auf die Heimat. Essen, Trinken, Pausen waren Nebensache – Fahren und wieder fahren. Die Beine konnte man während der Fahrt wunderbar strecken und dehnen, ein Vorteil des handgasgefahrenen FAHR. Inzwischen war die BAB Stuttgart – Augsburg überquert, Wertingen erreicht und der Raum Donauwörth als Tagesziel angepeilt. Bis dahin wies am Ortseingang mancher Brauereigasthof auf eine vorzügliche Küche und ein warmes Bett hin. Einmal war ein Gasthof abgerissen und andernorts seit langem das gastliche Haus leerstehend. Das Schild am Ortseingang hatte man vergessen.

Also ging die Fahrt weiter bis Donauwörth, zum Hotel „Traube / Post“. Dort bekam ich mein Zimmer, vorzügliches Essen und im Biergarten beim Augustiner Edelstoff schaute ich zufrieden und dankbar auf den ereignisreichen Tag zurück.

Mein Bulldog stand derweil im Hofraum zwischen einem italienischen Porsche und einem schwedischen Volvo, mitten in illustrer Gesellschaft. Das hatte er seit der EZ am 28.12.1954 noch nie erlebt.

Am dritten Tag, mittwochs, startete ich wieder meinen Bulldog. Wie immer ohne Einspritzen, ohne Füllknopfdrücken, mithin wie einen Pkw. Gemächlich ging es durch die Hauseinfahrt auf die Hauptstraße von Donauwörth die durch die malerische Altstadt führt. Zunächst musste ich die Bundesstraße fahren, entweder die B25 oder die B2. Ich entschied mich für die B25 bis Harburg. Dort wollte ich nach Wemding abbiegen.

Gut ausgebaute Bundesstraßen sind mit dem Bulldog langweilig. Man fährt endlose Kilometer äußerst rechts, wird permanent von Pkw’s und Lkw’s überholt und freut sich, endlich auf eine ruhigere Straße abbiegen zu können. Hier auf der B25 kam schließlich, was ich längst und eigentlich mehrmals erwartet hätte, eine Polizeikontrolle. So ein Oldtimer mit „FÜS“-Kennzeichen fällt doch auf.

Und dann überholte mich ein Streifenwagen. Das Bremslicht leuchtete kurz auf, ein Zeichen dafür, dass ich das Interesse der Polizeibeamten geweckt hatte. Ein Stück weiter war ein Haltestreifen, an dem mich freundliche Polizisten interessiert erwarteten. Es bedurfte keiner Kelle, von mir aus steuerte ich den Seitenstreifen an. POK Hornung deutete scherzhaft auf seinen Streifenwagen, ich beruhigte ihn sogleich und rief ihm zu, der Traktor bremst schon.

Was haben denn Sie da, war die erste Frage. Ein D 90 auf der Überführung von Füssen nach Schwabach antwortete ich. Das war der Anfang eines längeren und ausführlichen Gespräches über Bulldog – Oldtimer im Allgemeinen und im besonderen und wie man denn dazu käme und was die Ehefrau dazu sagt. Natürlich wurden nebenbei die Papiere eingesehen, war doch alles in bester Ordnung. Der Papp-Kfz-Brief wurde mit großem Interesse studiert.

Es kam die Zeit des Abschieds und auch hier wollte ich mir ein Foto von den freundlichen Polizeibeamten machen. Also bat ich sie um Aufstellung vor meinem Bulldog und ihrem Polizei-AUDI. Da meinte der eine Polizist, sie müssen aber auch mit auf das Bild. Ich schaute zweifelnd drein, er meinte da brauchen wir einen Fotographen. Und er hatte auch schon die Lösung parat. Da winken wir einen heraus. Gesagt – getan, ein junger Rollerfahrer, der geradewegs die Straße entlang kam, wurde herausgewunken. Er war sichtlich erleichtert, als ihm der Polizist erklärte, er müsse uns nur mal fotografieren. Nachdem die Fotos geschossen waren, machte sich der leicht irritierter Rollerfahrer wieder auf den Weg.

In Harburg begegnete ich dem Streifenwagen nochmals. Mit der Signaleinrichtung ihres Polizeiautos grüßten mich die Polizeibeamten zum endgültigen Abschied. Und am Abend rief mich POK Hornung noch zuhause an und fragte mich, ob ich denn gut heimgekommen bin. Natürlich bekamen auch die freundlichen Polizeibeamten ein Foto.

Die weitere Heimreise ging problemlos vonstatten. Nahe dem Brombachsee war eine lange währende Straßensperre gerade aufgehoben worden. Dadurch blieb mir ein kilometerlanger Umweg erspart. Pleinfeld, Georgensgmünd, Rittersbach – jetzt waren es nur noch wenige Kilometer. Und den Mainbacher Berg fuhr ich genüsslich mit leicht erhöhter Leerlaufdrehzahl hinauf.

Angekommen!!

Etwa 250 km war ich gefahren. Acht Landkreise hatte ich durchfahren bzw. berührt. OAL, MN, DLG, GZ, A, DON, WUG, RH. Die Reise war gut gegangen. Sie war einmalig und sie wird einmalig bleiben.

Im Dezember 2004 bekam ich Post von POK Hornung. Er schrieb mir einen herzlichen und sehr persönlichen Brief, in welchem er an unsere Begegnung an der B25 erinnerte. Er wollte diese, etwas andere Polizeikontrolle seinen Kollegen vom Polizeipräsidium Schwaben nicht vorenthalten. Deshalb fügte er die Hauszeitung „Schwabeninfo“ bei. Auf Seite 28 in der Rubrik „Vermischtes / Buntes“ war unsere Begegnung humorvoll geschildert und das Foto abgedruckt. Seinen Brief schloss er mit herzlichen Grüßen und wünschte mir weiterhin viel Spaß an meinem ausgefallenen Hobby.

Am 22.Februar 2005 stellte ich meinen Bulldog bei der BayWa Schwabach dem TÜV zur Hauptuntersuchung vor. Der erfahrene TÜV – Prüfer bestätigte einen hervorragenden technischen Zustand. Insbesondere gefiel die einwandfrei arbeitende Lenkung. Dass es trotzdem im TÜV Bericht zu geringen Mängeln gereichte, lag an den 50 Jahre alten Reifen an den Hinterrädern.